- Du bist so anstrengend -
Bin ich schwierig? Oder eher mein Partner? Der Ort, wo das offenkundig wird, ist meistens die Beziehung. Dort, wo emotionale Nähe entsteht, verlieren wir leichter die Kontrolle über unsere Gefühle und werden verletzlicher.
Doch nicht jeder ist anstrengend. Aber viele von uns sind auf ihre eigene Art und Weise anstrengend. Manche sind sogar für sich selbst anstrengend. Ihr Leben ist eine ständige Herausforderung, denn sie leiden unter Ihrem Dasein. Meistens sind sie keine Positivdenker, sondern eher pessimistische Menschen, die einen Schmerz in sich tragen, der nicht vergeht.
Anstrengend sind besonders die, die psychische Defekte, Traumata, Störungen und Erkrankungen bis hin zur Sucht haben. Meist sind sie passiv aggressiv, nicht kritikfähig, zwanghaft, narzisstisch. Sie wissen alles besser, wollen, dass alles nach ihrem Kopf geht und brauchen sehr viel Aufmerksamkeit. Sie erwarten viel von sich selbst, dem Leben und von anderen. Sie sehen ihre eigenen Schwächen nicht oder projizieren sie auf andere. Sie können nicht zuhören und keine eigenen Entscheidungen treffen. Sie sind unsicher in ihrem Tun und leicht kränkbar, verbittert und leicht verletzbar. Immer fühlen sie sich als Opfer und geben anderen oder dem Leben die Schuld, dass sie das Opfer sind.
Es gibt komplizierte und anstrengende Menschen, auch wenn keine Störung vorliegt. Die Übergänge sind fließend und auch die Macken von „normalen“ schwierigen Personen sind oft nervig und erfordern viel Geduld von uns – vor allem wenn wir ihnen nicht aus dem Weg gehen können.
„Haltet doch einfach einmal die Klappe!“, würden wir schwierigen Menschen gerne immer dann entgegen schmettern, wenn uns ihr Verhalten einfach nur noch nervt. Sie zerren an unserem Geduldsfaden bis der schließlich reißt.
Sie müssen gar nicht viel sagen, und trotzdem können manche Menschen uns nahezu aggressiv machen. Warum regen bestimmte Personen uns so viel schneller und mehr auf als andere – und das scheinbar, ohne dass sie etwas Bestimmtes sagen oder tun? Ist es dieses eine Wort, das sie ständig verwenden? Oder ist es ihre Stimmlage oder eine spezielle Bewegung, die uns nervt?
Wer anstrengend ist, strengt an.
Anstrengende Menschen haben nicht gelernt, andere Werkzeuge zur Kommunikation einzusetzen als ihre nervenden Strategien. Ihnen fehlt meist der Blick über den eigenen Tellerrand hinaus. Sie nehmen Situationen oft sehr selbstbezogen wahr. In ihrer Ich-Bezogenheit kommen sie nicht auf die Idee, die Bedürfnisse und Beweggründe des Umfelds und der anderen Agierenden zu analysieren und in ihr Verhalten miteinzubeziehen. Sie reagieren dann anstrengend, für andere unangenehm bis unerträglich – und merken es selbst oft nicht.
Sie lassen sich von eigener Unsicherheit oder Angst hemmen, sind zu sehr mit ihren persönlichen Dramen beschäftigt oder geraten zu häufig mit anderen in Zwietracht, weil ihnen deren Bedürfnisse nicht wichtig seien.
Woran sind schwierige Menschen zu erkennen? Es ist, wie so häufig, der Leidensdruck, das Gefühl, im Leben und im Alltag nicht zurechtzukommen. Sehr schwierige Menschen erreichen ihre Ziele
nicht oder schöpfen ihre Möglichkeiten nicht aus. Sie tun nicht das, was ihnen wichtig ist – denn ihre Persönlichkeit steht ihnen im Weg.
Begegnen wir anstrengenden Menschen können sie uns überfordern. Sie können uns sprachlos, traurig, wütend, und auch frustriert machen. Obwohl diese Menschen fühlbar anstrengend sind, wissen wir aber nicht, warum sie so sind. Bevor wir sie verurteilen, könnten wir versuchen, sie zu verstehen. Wir können offen, höflich und respektvoll sein, was nicht heißt, wir müssen ihnen stundenlang zuhören oder uns selbst überfordern, wenn eine Begegnung auf Dauer unerträglich ist. Dann ist Abgrenzung und letztlich Distanz die Lösung, im Sinne unserer Selbstfürsorge.
Fazit: Ich wage zu behaupten, dass die große Mehrheit der Menschen andere Menschen anstrengend findet. Weil jeder anders tickt und absolute Harmonie zwischen Menschen ein seltenes Geschenk ist. Manche Menschen fordern uns, provozieren uns, verärgern uns, enttäuschen und verletzen uns. Was uns am anderen anstrengt, ist individuell und es hat mit uns selbst zu tun, was wir als anstrengend empfinden und wie viel wir an Anstrengendem aushalten. Das Leben ist nicht leicht. Es ist sogar eher schwer als leicht. Es ist für viele von uns anstrengend. Das zu leugnen hieße das Leben als Ganzes zu leugnen, uns selbst als Ganzes zu leugnen. Und ein anstrengendes Leben schafft auch anstrengende Menschen.
Silvia Exner