Aufbruch ins Unbekannte

- Warum Veränderung so schwer sein kann –

Häufig schwanken wir zwischen der Angst vor Veränderung und einer vorfreudigen Neugierde. Die Entscheidung zu treffen, uns in unbekanntes Terrain zu trauen, fällt uns nicht leicht. Wäre es sinnvoller, an dem bekannten Weg festzuhalten oder wagen wir mutig den Absprung ins Unbekannte? Wie treffen wir die für uns richtige Entscheidung?

Im Laufe unseres Lebens geraten wir immer wieder an Weggabelungen, in denen wir eine Entscheidung treffen müssen. Gehe ich links oder doch lieber rechts? Dabei kann es sich um ein spannendes Jobangebot, das Festhalten oder Loslassen in Bezug auf unsere Partnerschaft, die Entscheidung darüber, ob wir ein Kind bekommen möchten oder in eine fremde Stadt ziehen wollen, handeln. Nicht selten sind wir überfordert mit der Aufgabe, die aus unserer Sicht richtige Wahl zu treffen. Hören wir lieber auf die innere Stimme der Vernunft, die uns rät: „Verbleibe besser in deiner altbekannten und (vermeintlich) sicheren Situation, denn da weißt du, was du hast!“ oder geben wir der Stimme unseres Herzens nach, die uns leise ins Ohr flüstert: „Das hast du dir doch immer schon gewünscht. Nutze die Gelegenheit, jetzt“. Doch, welche Stimme weist uns den richtigen Weg? Was, wenn wir den falschen Weg wählen und uns später selbst Vorwürfe machen, uns nicht für die andere – und so denken wir dann „bessere“ – Option entschieden zu haben?

Es wäre manchmal angenehmen, wenn wir uns einfach vor dem Treffen einer Entscheidung drücken könnten, glauben wir. Die Krux dabei ist jedoch: Wir können nicht keine Entscheidung treffen. Wählen wir die Passivität oder das Nichthandeln, haben wir automatisch eine Entscheidung getroffen. Nämlich die, dass wir alles beim Alten lassen.  Natürlich spielt in solchen Lebenssituationen auch unsere eigene Persönlichkeit eine große Rolle.

Schauen wir uns einmal zwei Extreme an: Empfindet ein Mensch sich als jemand, der ein starkes Sicherheitsbedürfnis in sich verspürt, weist er ein anderes Verhalten in Bezug auf anstehende Entscheidungs- und Veränderungsprozesse auf, als jemand, der stark von Neugierde, Abenteuerlust und Lebenshunger getrieben ist.

Letzterem Persönlichkeitstyp mag es leichter fallen, Wagnisse einzugehen. Gleichzeitig werden von ihm Herausforderungen oder Rückschläge weniger ernst genommen oder gar allzu niederschmetternd erlebt. Dieser Persönlichkeitstyp sucht schnell nach Lösungen und geht mit einer Haltung der Nonchalance durch das Leben. Im ersten Moment könnten wir denken, dass dieser Mensch es einfacher hat, doch das ist nicht unbedingt der Fall. Nicht selten gerät er allzu schnell auf Abwege, handelt zu impulsiv und bedenkt daher wichtige Aspekte nicht mit. Dies führt oftmals zu einer Verstrickung in eine ungute Situation nach der nächsten. Es wäre für ihn deshalb ratsam, sich teilweise erst einmal etwas selbst auszubremsen und nicht zu euphorisch und mitunter kopflos loszusprinten. Ihm kann es helfen, nach der ersten Vorfreude über eine neue Chance zunächst einmal „runterzukommen und durchzuatmen“ und sich anschließend den Aspekten der Verantwortung und Verantwortlichkeiten zu öffnen, die eine eventuelle Veränderung mit sich bringen.

Ein vorsichtiger und zurückhaltender Mensch hingegen freut sich zwar ebenfalls über neue Wege und Möglichkeiten, begegnet diesen allerdings mit einer gewissen Form des Misstrauens und versucht, mögliche Eventualitäten, die dort mitschwingen, auszurechnen. Er ist jemand, der danach strebt, die Kontrolle zu behalten. Damit möchte er sich selbst vor unschönen und eventuell schmerzhaften Erfahrungen schützen. Die Vorstellung, die Kontrolle zu verlieren, ängstigt ihn. Nicht selten beherzigt dieser Persönlichkeitstyp daher den Spruch: „Schuster bleib bei deinen Leisten“ oder auch „Lieber der Spatz in der Hand, als die Taube auf dem Dach“. Veränderungen – und seien sie noch so positiv – werden daher eher umgangen. Das starke Vermeidungsverhalten sorgt oft dafür, dass ein solcher Mensch hinter seinen eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten zurückbleibt und daher sein sprichwörtliches „Licht unter den Scheffel stellt“. Es würde ihm stattdessen guttun, sich kleineren Herausforderungen mutig zu stellen und damit schrittweise sein Selbstvertrauen zu stärken. Selbst, wenn dieser Mensch sich auf unbekanntes Terrain wagt und Schwierigkeiten auftreten, kann er an der Bewältigung dieser Herausforderung persönlich wachsen und damit seine Fähigkeiten zur Selbstwirksamkeit trainieren. Wichtig ist es jedoch, sich zu Beginn nicht zu hohe Ziele zu stecken, sondern sich kleine Veränderungen und Herausforderungen zu stellen. Ansonsten ist die Frustration groß, wenn ein zu hochgestecktes Ziel nicht erreicht wird. Eine solch negative Erfahrung sorgt für einen Selbstwerteinbruch und eliminiert die Motivation, sich zukünftigen und unbekannten Wegen zu öffnen.

Die meisten von uns befinden sich im Hinblick auf ihre Persönlichkeitsstruktur eher in der Mitte zwischen beiden beschriebenen Ausprägungen oder haben eine Tendenz in eine der beiden Richtungen. Schlussendlich gibt es keine Pauschalempfehlung dazu, wie wir eine Entscheidung treffen sollten.

An das Szenario „bleibe ich in meiner Partnerschaft oder trenne ich mich lieber von meinem Partner?“ gehen wir anders heran als an die Frage: „Nehme ich dieses wunderbare Jobangebot in der fremden Stadt an oder verweile ich in meinem aktuellen Job?“. Im Hinblick auf die Beziehungsthematik sind wir viel mehr damit konfrontiert, hinzuspüren und uns emotionalen Fragen zu stellen als im Jobkontext. Wichtig ist es, dass wir erkennen, dass wir keine falsche Entscheidung treffen können. Das mag sich banal anhören, entspricht aber einem Fakt. Selbst, wenn wir hinterher erkennen sollten, dass wir uns mit unserer getroffenen Entscheidung nicht wohlfühlen, war es zum damaligen Zeitpunkt die für uns richtige Wahl.

Es mag sein, dass wir uns fragen, ob es uns besser gehen würde, wenn wir uns für die andere Perspektive entschieden hätten. Das jedoch werden wir nie erfahren. Möglicherweise würden wir uns diese Frage ebenso stellen, wenn wir uns für die andere Alternative entschieden hätten. Fakt ist, dass wir in einer Welt leben, in der wir niemals nur Vorteile „einkaufen“. Jede noch so großartig erscheinende Möglichkeit bringt Herausforderungen und Seiten mit sich, die wir womöglich als negativ bewerten. Wir selbst treffen stets die Entscheidung, ob wir mit einer primär negativen oder positiven Sicht auf die Begebenheiten unseres Lebens schauen. Natürlich bringt es nichts, wenn wir uns eine länger währende Situation, in der wir zutiefst unglücklich sind und leiden, schön reden und dort verharren.

In Lebenssituationen, in denen wir an einem Scheideweg stehen, begegnen wir vor allem uns selbst – nackt und ungeschminkt. Wir sind intensiv mit unseren Bedürfnissen, Ängsten, Konditionierung, Denkmustern und Glaubenssätzen konfrontiert. Eine solche Erfahrung dürfen wir nutzen, um auf liebevolle und achtsame Weise unsere einzelnen Facetten zu betrachten. Jede innere Stimme darf angehört werden. Dabei sollten wir uns darüber im Klaren werden, welche Stimme von welcher Motivation angetrieben wird. Folgen wir der Stimme der Angst und gehen deshalb den Weg des Vermeidungsverhaltens? Richten wir uns auf die Stimme des Zweifels aus, die uns einreden möchte, dass es sicherlich einen Haken an dem Veränderungsangebot gibt? Lauschen wir der Stimme der Leichtigkeit und Lebensfreude die es uns ermöglicht, sich eine Veränderung zu öffnen? Will uns die Stimme der Unzufriedenheit einreden, dass wir uns unbedingt im Job oder in der Beziehung verändern müssen, weil in der Neuerung das langersehnte perfekte Glück auf uns wartet und wir somit vor unseren Problemen einfach nur weglaufen?

Bevor wir den Überblick verlieren und nicht mehr wissen, welcher inneren Stimme wir denn nun folgen sollten, dürfen wir erst einmal tief durchatmen. Wir sollten uns darüber bewusstwerden, dass wir weder unsere Gefühle noch unsere Gedanken und Gefühle haben. Die Wahrheit geht viel tiefer – es gibt einen „inneren Kern“ in uns. Manche von uns betiteln diesen tiefen inneren Kern als Seele, andere sprechen von ihrem Bewusstsein oder der Stimme ihres Herzens.

Denken wir an Situationen in unserem Leben zurück, die uns geprägt und viel mit uns gemacht haben, kommen wir unserem wahren Selbst näher. Ein solcher Moment kann über den Maßen freudig und schön oder alternativ unfassbar schmerzhaft gewesen sein. In diesen Augenblicken sind wir vollkommen klar, herzoffen, nahbar und gegenwärtig lebendig. Wir nehmen alles um uns herum und uns selbst in einer ausgeprägten Intensität wahr, wie wir sie im Alltag nicht verspüren. Diese Instanz in uns ist es, die unserem wahren Sein entspricht. Sie ist es, die uns auf den Weg führt, den wir gehen und erfahren sollen. Nicht selten leitet sie uns (wider unseres Erwarten) auf einen Pfad, der sich für uns hinterher als schmerzhaft und besonders herausfordernd erweist. Dann glauben wir, eine Fehlentscheidung getroffen zu haben, was aber nicht der Fall ist. Wir sind hier, weil wir daran wachsen dürfen. Wir sind hier, weil uns alte Wunden aufgerissen werden, die nun endlich heilen dürfen. Wir sind hier, um negative Denkmuster und falsche Glaubenssätze (über uns selbst) über Bord zu werfen. Wir sind hier, um eine innere Läuterung zu erfahren. Wir dürfen unseren inneren Kompass vertrauen, dass er uns auf den für uns richtigen Weg leitet – möge sich dieser Weg zunächst fremd anfühlen oder sei die daraus resultierende Erfahrung für uns (zuerst) schmerzhaft oder unmittelbar schön und unangenehm. In jedem Fall wird uns unsere Erfahrung persönlich weiterbringen.

Oft erleben wir, dass einer zunächst unangenehmen Erfahrung eine überraschend positive Wendung folgt. Dann heißt es: „Hätte ich damals nicht diesen oder jenen Umweg genommen, wäre ich nicht da, wo ich heute stehe“. Auch, wenn wir uns in einer Situation befinden, die sich als herausfordernd und vielleicht sogar schmerzhaft darstellt, dürfen wir Mut und Vertrauen dafür in uns finden, dass wir stets auf dem für uns richtigen Weg sind. Schließlich ist es unser Weg. Kein anderer Mensch durchläuft dieselben Stationen im Leben wie wir.

Wir können uns schlussendlich nicht falsch entscheiden, da wir es in der Hand haben, mit welcher Einstellung wir unserem Leben in seinen verschiedenen Facetten begegnen wollen und was wir daraus machen möchten.

Silvia Exner


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